Ehebruch und Psychotherapie

 

 

Steuerrecht des Lebens

 

Die Verliebtheit spielt in den psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxen eine große Rolle und zwar in verschiedener Hinsicht. Das Thema der Übertragungsliebe wird zur Zeit in der Fachliteratur und in den Medien heiß diskutiert. Doch auch ein anderes Thema ist für die Psychiater und für deren Patienten von entscheidender Bedeutung: "Wie steht mein Psychiater zur Unauflösbarkeit der Ehe? Ist er selber geschieden? Wird er meine Eheschwierigkeiten, derentwegen ich zu ihm gehe, in meinem Sinne verstehen? Wird er mich darin unterstützen, daß ich mich von meinem Partner trenne? Wie wird die Therapie ausgehen?" Die Haltung des Psychiaters zu diesen Fragen kann von schicksalhafter Bedeutung für die Patienten sein.

Eheschwierigkeiten kommen in der nervenärztlichen Praxis mit psychotherapeutischer Ausrichtung sehr häufig vor. Immer wieder ist zu hören: "Mein Mann und ich, wir verstehen uns nicht mehr. Wir haben uns im Bett nichts mehr zu sagen. Ich war nur kurz verliebt in ihn. Sex lehne ich ab. Mein Mann kann mir das nicht geben, was ich mir wünsche. Verliebt bin ich in einen anderen, doch der ist verheiratet. Ich habe keinen Mut, meine Wünsche mit dem anderen auszuleben. Sex mache ich nur, weil mein Mann es will. Es widert mich an. Mein Mann ist zu weich, er jammert zuviel, er kann sich mir gegenüber nicht durchsetzen. Er ist nicht männlich genug. Wir haben einen Sohn, der ist 4 Jahre alt. Eine Scheidung kommt für mich nicht in Frage. Aber ich weiß nicht,wie es weitergehen soll."

 

Die Frage nach dem moralischen Standpunkt des Therapeuten

Der Bericht dieser Patientin ist beispielhaft für den Verlauf und den Zustand vieler Ehen. Am Anfang war die Verliebtheit, dann wachsen allmählich Zweifel am ehelichen Glück und Abwertungen überwiegen. Das Glück wird bei anderen gesucht, mal wird es ausgelebt, mal phantasiert.

Nun ist es für den Ausgang der psychiatrischen Behandlung von Bedeutung, welche Einstellung der jeweilige Psychiater zu dieser Problematik hat. Hält er es mit Herrn Sigusch und Herrn Dannecker, die für außereheliche Abenteuer eintreten und die eheliche Untreue propagieren? Oder erkennt er die infantile Haltung seiner Patienten, die regelmäßig mit derartigen Eheschwierigkeiten einhergeht?

Schauen wir uns im Freundes-und Bekanntenkreis oder im Kreis unserer Patienten um, so stellen wir auch hier die negativen Auswirkungen der hohen Scheidungsrate fest. Ein Drittel der Ehen ist geschieden, die Zahl der Scheidungswaisen liegt bei 2,3 Millionen.

Die Kirche übt eine moralische Funktion aus, die auch das 6. Gebot "Du sollst nicht ehebrechen" beinhaltet. Ohne sich dessen immer bewußt zu sein, vertreten Eheberatungsstellen, Psychotherapeuten, Psychoanalytiker und Psychiater gleichfalls Moralpositionen. Psychotherapie hat mit dem Einhalten von Moral zu tun, sie zeigt aber vor allem die tiefenpsychologischen Zusammenhänge auf, die zu einem Bruch mit den Moralforderungen führen.

 

Den Patienten aus seiner infantilen Fixierung herausführen

Wie kann und sollte der Psychiater bei Fragen des Ehebruchs sinn-voll behandeln und beraten? Es geht vor allem um das Erkennen infantiler Verhaltenswei-sen bei diesen Patienten und darum, sie aus den infantilen Fixierungen herauszuführen. Dann sind die Patienten in der Lage, ihren Ehepartner wieder zu lieben.

Oft sind wir geneigt, unseren Patienten Glauben zu schenken. Nehmen wir als Beispiel die oben zitierte Patientin. Ihre Klage über ihren wenig liebenswerten Mann erstreckt sich auch über eine angeblich lieblose Kindheit: "Mein Vater hat mir nie die Liebe gegeben, die ich mir immer gewünscht habe. Er war so streng zu mir. Er war so kühl und unnahbar. Wenn ich doch nur etwas mehr Wärme und Geborgenheit bei ihm gespürt hätte. Nun habe ich mir auch so einen gefühlsarmen und wenig liebenswerten Mann gesucht! Meinen Idealen entspricht der andere. Ich kann mich so gut mit ihm unterhalten. Wir haben uns viel zu sagen und schwärmen füreinander. Aber er ist verheiratet. Auch Sie, Herr Doktor, entsprechen eher dem Mann, den ich mir immer vorgestellt habe. Wie komme ich aus meinem Unglück heraus?"

Es fiel auf, daß diese Patientin in einer sehr egozentrischen Weise nur sich selber sah. Sie war widerspenstig, sagte oft: "Ja, aber...". Sie ließ nichts so stehen, wie der Therapeut es gerade gesagt hatte, sondern setzte immer noch einen obendrauf. Untergründig war von ihr eine gewisse Zuneigung zu verspüren. -Sobald sie etwas Freundlichkeit und Zuneigung durch ihre Haltung und auch in Worten gezeigt hatte, zerstörte sie anschließend die angenehme Stimmung durch eine abwertende Bemerkung.

 

Symbiotisches Verhalten - Ursache für Ehekonflikte

Einerseits bedauerte ich den Mann, andererseits hatte ich Verständnis für die Patientin, die so einen kalten und abweisenden Vater gehabt haben wollte. Doch die Traumanalyse und vor allem ihr Verhalten während der Therapiestunden wiesen auf andere Ursachen ihres Unglücklichseins in zwischenmenschlichen Beziehungen hin: sie war fixiert an ihren Vater, der als Patriarch über seine Familie herrschte. Er hatte keines seiner Kinder in die Selbständigkeit entlassen und sie wie einen käuflichen Besitz betrachtet. Die Tochter kümmerte sich rührend um das körperliche Wohlergehen ihres Vaters, der einen Platz in der Familiengruft für die Tochter, aber nicht für deren Ehemann bestimmt hatte. Für diesen hatte sie ihr Herz nicht öffnen können, sondern sie wertete ihn ab und projizierte ihre eigene Kälte auf ihn.

Auch in anderen Ehe-Therapien zeigt sich symbiotisches Verhalten als Ursache für eheliche Konflikte. Der 50 jährige Ehemann, der mit langen, wellenden Haaren in die Praxis hereinkommt, mit Motorradstiefeln und Motorradkluft, lebt das Skript eines "Puer aeternus". Seit Jahren kommt er von seiner Geliebten nicht los, zieht immer wieder ein und aus, wobei er seine Frau zur Verzweiflung bringt. Erst nach erheblichen therapeutischen Konfrontationen mit seinem infantilen Verhalten wird ihm auch anhand der Traumanalyse seine regressive Fixiertheit bewußt. Jetzt kann er seine Liebe auf seine Frau richten.

 

Menschliche Reife: Sich der Liebe zum Ehepartner widmen

Das Propagieren von Verliebtheitszuständen, die auch suchtartig entgleiten können, als Ausbruch aus einer bürgerlich-langweiligen Ehe halte ich für einen infantilen Charakterzug, der leider erhebliche Konsequenzen hat, sobald mit dieser moralischen Einstellung ärztlich gehandelt wird.

Ein außereheliches Verhältnis,einen Seitensprung gutzuheißen und als Gewürz für die Ehe zu preisen, entspricht nicht den seelischen Anlagen des Menschen, wohl seiner Triebnatur. Die Sexualität und der Eros wollen vor allem eines: sich vermehren, sich austoben und lebendiges Chaos anrichten. Ungebärdig und zerstörerisch treten Eros und Sexualität im Erwachsenenleben auf, wenn symbiotische Verhaltensweisen oder infantile Fixierungen fortbestehen. Menschliche Reifung bedeutet jedoch, sich der reinen und ausgelebten Triebnatur zu entledigen und sich der Liebe zum Ehepartner und zur Umwelt zu widmen.

Die christliche Religion hat hohe moralische Forderungen und Gebote aufgestellt, deren Einhaltung schwierig ist. Die Psychotherapie versucht nun, einen Weg der inneren Wandlung aufzuzeigen, der das Einhalten dieser Gebote leichter ermöglicht, indem unbewußte Konflikte aufgearbeitet werden. Der jeweilige moralische Standpunkt entscheidet über die Einstellung des Psychiaters zu Fragen des Seitensprungs,der Verliebtheit und der Ehescheidung. Seine Haltung wird jedoch wesentlich davon mitbeeinflußt, inwieweit sich der behandelnde Psychiater selbst erfolgreich dieser Thematik gestellt hat. Er wird eher dazu neigen, eine Ehe aufrechtzuerhalten, wenn er selbst an dieser Problematik gewachsen ist und darum weiß, mit welcher Macht und mit welcher List es die Elternhäuser immer wieder schaffen, daß Ehen geschieden werden.

Wenn wenigstens einer der Partner in die Therapie kommt und beide Partner die Ehe nicht zerstören wollen, gelingt es häufig, auch verhärtete und chronifiziert desexualisierte Ehen nach Wochen oder Monaten zu Zärtlichkeit und Sexualität hinzuführen.

 

Erschienen in: TW Neurologie Psychiatrie 1/2, (1991), S. 9-10.

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