Persönliches über das Altwerden
Was macht vielen Menschen das Altern so schwer? Sind es von der Altersindustrie Verführte? Auch Narzißten, die glänzend ihre Vorträge halten, ihre Rolle als Chef ausspielen, als Politiker erfolgreich auftreten, klammern am Leben. Doch im Alter gilt der Satz: "Akzeptiere den Rückzug." Sie wollen nicht wahrhaben, daß auch bei ihnen der Satz gilt: "Schluß ist Schluß."
Es gibt auch diejenigen, die für die Arbeit alles gegeben haben. Sie wollen im Alter noch vieles vom Leben erheischen. Oder die, denen es schwerfällt, zu akzeptieren, daß die Jüngeren bei der Regatta davonsegeln. Sie nehmen nicht mehr den ersten Platz ein. Sie wollen nicht erkennen, daß ihr Körper nachgelassen hat.
Was ist altersgemäßes Handeln und Tun? Ruhe einkehren lassen? Weiterarbeiten bis zum Umfallen? Im Fernsehen mit 103 Jahren Blödsinn daherstammeln? Genieße Dein Leben Deinem Alter angemessen! Die Botschaft des Ewigen Jünglings, der ewig hübschen Frau möge endlich ihre Macht über Dich verlieren. Auch Dich trifft eine nachlassende Vita sexualis. Die Altersindustrie hat ein hohes Interesse daran, Deine Fehlhaltungen zu unterstützen, Dir Unglück einzureden, welches aus dem Älterwerden entsteht. Statt dessen genieße, was Dir das Alter ermöglicht: Weisheit, Abgeklärtheit, religiöse Erfüllung. Wichtig ist: Sei unter Menschen, liebe sie wie Dich. Zeige Deine Neugier und Deine Liebe. Befolge den Satz: Wer rastet, der rostet. Doch auch die Weisheit der alten Griechen nimm Dir zu Herzen: Niemals zuviel. Eile mit Weile. Diese Sätze sollten im Alter einen hohen Stellenwert einnehmen. Schreibst Du Bücher: Jeden Tag eine Seite. Überfordere Dich nicht, halte Ruhepausen ein. Zügele Deine Gier nach Anerkennung, nach Siegen. Lerne, zufrieden zu sein, mit dem, was Du hast. Zeige Gelassenheit. Die Ruhe, welche ein Gottesdienst ausstrahlt, der erhabene Raum einer Kirche - genieße sie.
Das Leben ist eingeteilt in Abschnitte. Abschnitt kommt von schneiden, und schneiden tut weh. Genauso wie scheiden. Hast Du einen Lebensabschnitt vor oder hinter Dir, spürst Du ganz genau, daß es Dir schwerfällt, diesen Abschied einzuleiten, das zu befolgen, was er einfordert. Ein nimmermüder, rastloser Kollege, ein großer Hausarzt erzählte mir beiläufig von seinem Leben: Er fühle sich immer noch mit seinen über 70 Jahren so jung und kräftig wie ein Junger, er wandere in den Alpen mit seinen Söhnen, marschiere voran, er könne und wolle die Praxis nicht aufgeben, obwohl er bereits einen jungen Kompagnon aufgenommen habe. Manchmal denke er schon ans Aufhören, an das Zur-Ruhe-Kommen. Doch er zögere. Neulich habe er einen interessanten Traum gehabt. Da seien Bomberflugzeuge über die Förde direkt auf seine Praxis zugeflogen, mehrfach im Kreis, hätten immer wieder geübt, die Bomben abzwerfen. Das habe ihm einen großen Schrecken eingejagt. Was der Traum wohl zu sagen habe? Ich habe ihm unter Vorbehalt die Deutung mitgeteilt: Daß es ihm schwerfalle, mit der Arbeit aufzuhören, doch auch starke, innere Kräfte diesen Schritt von ihm einfordern würden. Er möge rechtzeitig und freiwillig sich zur Ruhe begeben, das Leben genießen, bevor äußere Umstände ihn dazu zwingen könnten. Der junge Kollege würde auch gern mal ganz allein die Praxis übernehmen – ohne ihn.
Das Alter zwingt den Einen mehr, den Anderen weniger, stets neue Grenzen des Körpers und des Geistes bei sich festzustellen. Hauptsache, er erkennt sie an. Das fällt dem Narzißten schwer. Er hat Zeit seines Lebens sich als den Größten gesehen, den Erfolgreichsten, den Schnellsten. Die übersteigerte Selbstliebe, das zwanghafte, überdimensionierte Größenselbst verbirgt nicht selten eine dahinterliegende, depressive Grundhaltung. Vor ihr flieht der Narzißt. Stets benötigt er Nahrung für seinen Narzißmus in Gestalt endloser, öffentlicher Auftritte als Schlagersänger, als Popikone, als Wissenschaftler, als Politiker, als Bankier, als Schriftsteller. Ruhe, ein Verweilen ist ihm nicht gegönnt. Was treibt den Rastlosen an? Die reine Lebensfreude? Oder das Erbgut, das Temperament, die hohe, überdurchschnittliche Intelligenz, ein schwieriges Schicksal, das nach Anerkennung lechzt? Doch wer mag richten, wenn ein Künstler auch im Alter Werke schafft, die der Menschheit viel Freude bereiten?
Sinnvoll ist es, in der Jugend oder später erlebte Traumata vor Beginn des Alters aufgearbeitet zu haben. Denn diese können sich mit der Rückbildung schützender Hirnsubstanz im Alter während des Schlafes störend bemerkbar machen. Ich kenne Kriegsveteranen, die ein Leben lang zigarettensüchtig waren, im Alter zunehmend nachts aufschreckten, wachgerüttelt von ihren Kriegserlebnissen. Die Verdrängungsmechanismen versagten im Alter. Ein U-Bootfahrer litt erst im Alter unter den Ängsten des Eingeschlossenseins und des Ertrinkens. Es handelte sich um die Folgen eines Traumas aus dem 2. Weltkrieg. Wäre es da nicht besser, seine Träume zu fragen, welches der richtige Weg ist, um zu sich selbst zu finden, anstatt vor sich wegzulaufen?
Schau zurück auf das Geleistete, auf Deine Kinder, die Dir wiederum das Glück der Großelternschaft schenken mögen. Carpe diem, mit allem, was Dir Freude bereitet. Hüte Dich im Alter davor, Politik zu machen. Schaue mit gesundem Abstand auf diese Welt, die Du im Alter kaum noch beeinflussen kannst. Laß den Jüngeren den Vortritt im Kampf um Erneuerung.
Dem Einen ist es vergönnt, seine Firma bis zum 75. Lebensjahr zu leiten, der Andere empfindet Arbeit im Alter als Mühe und Fron. Tue im Alter das, wovon Du immer geträumt hast. Hauptsache, es macht Freude und gibt Dir Genugtuung. Ein freies Schweben im Raum, Loslösung von den Boshaftigkeiten des Lebens werden auch im Alter ein Traum bleiben. Der Blick auf das Geleistete, der Rückzug und der geringere Anspruch an das Leben öffnen Dir den Weg zu innerer Zufriedenheit. Den letzten Frieden hast Du mit dem Erlöser Tod gefunden.
Das Alter
Der Held steigt heldenhaft herab
und öffnet in Würde sein Grab.
Alle wünschen, alt zu werden,
doch niemand will es sein auf Erden.Das Alter naht mit leisen Pfoten,
zäher Abschied ist geboten.
Gott schuf das Stirb und Werde.
Das Alter ist ohn' viel Beschwerde,
für den, der Zukunft hat gestaltet
und kinderreich sein Haus verwaltet.Der Infantile darf nicht reifen,
läßt seinen Blick ins Leere greifen.Der Tod tut uns erlösen,
denn er befreit vom Bösen.Wer das Leben hat genossen,
dem kommt das Alter zugeflossen.
Autor: Dr. med. Holger Bertrand Flöttmann
Dieser Artikel ist erschienen in der Zeitschrift Neuro Aktuell Nr. 5 (2010), S. 49
Das Gedicht erschien in dem Buch "Steuerrecht des Lebens", Novum Verlag, Wien, Horitschon, München (2006), S. 302
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