Prüfungsangst
1. Definition
Prüfungsangst besteht, wenn den Prüfling vor oder in der Prüfung Angst mit all ihren Symptomen überflutet und diese den Erfolg beeinträchtigt.
2. Ursachen
Ein häufiger Grund der Prüfungsangst besteht in einer zu starken Mutterbindung und fehlenden Vateridentifikation. Harte, auch herabsetzende Erziehung ist eine weitere Ursache von Versagensangst in der Prüfung. Weiterhin bedingt Vernachlässigung in der Kindheit und Jugend Ich-Schwäche und später Prüfungsangst.
a. Prüfung gleich ReifungJede Art von Prüfung stellt eine Reifungssituation dar. In ihr gilt es, sich zu bewähren. Wenn eine Botschaft lautet: "Werd nicht erwachsen! Kind, bleib bei mir!", kann dieses bewirken, daß jemand seine Prüfungen nicht schafft. Angst, Trennungsangst und Schuldgefühle hindern den Prüfling am klaren Denken und am Erfolg.
Ein 43jähriger Verwaltungsangestellter berichtet zu seiner Prüfungsangst:
"Wenn ich in einem Stoff nicht 100% sicher bin, habe ich schlimme Prüfungsängste. Ich weiß dann teilweise sogar schon Erlerntes nicht mehr und will nur noch, daß die Situation schnell zu Ende ist.
Über meine ganze Schul- und Ausbildungszeit habe ich gespickt. Ich habe zumindest ein Buch oder einen Spickzettel dabeigehabt, um mich sicher zu fühlen. Ein sicheres Gefühl hat mich fast immer gute Noten erzielen lassen.
Es gab ein paar Lehrer und Lehrerinnen, die mich mochten, bei denen erzielte ich durchweg gute Noten, ohne viel lernen zu müssen. So habe ich ohne Probleme das Abitur geschafft. Doch im Medizinstudium habe ich vor Angst versagt. Ich bin Mutter's Liebling gewesen. Vater hat viel gearbeitet, er war ein Sonderling."Er sagt zu der Frage: Warum bin ich in der Abschlußprüfung durchgefallen?
"Zunächst kamen mir Gedanken wie: 'Ich war zu faul, ungerechte Prüfer, zuviel Stoff, ich habe kein Latein gehabt, schlechte Voraussetzungen.' Ich stand nicht voll dahinter.
Dann stellte ich fest, daß ich oft unkonzentriert war, was das Lernen erschwerte. Aber – ich habe das Lernen auch immer vor mir hergeschoben. Habe strukturlos und passiv herumgelümmelt, mit meinem Mitbewohner bei Kaffee und Kuchen gesessen und dann einen Nachmittagschlaf gemacht, Belohnung und ausruhen von dem Tag.
Erst als kein Weg mehr am Lernen vorbeiging, fing ich dann abends an.
Ich hatte stets die Grundeinstellung, der Stoff sei zu schwer für mich – ich habe nicht an mich geglaubt. Mißerfolge waren die Folge, und ich fühlte mich durch diese in meiner Meinung bestätigt. – die sprichwörtliche Belohnung fürs Lernen blieb aus.
Ich konnte forschen Prüfern nicht gegenüber bestehen, ähnlich fordernd wie meine strenge fordernde Mutter.
Als Kind hat mich Hilflosigkeit oft zum Ziel geführt, im Studium leider nicht.
Ein Erklärungsansatz ist auch: ich habe unbewußt versucht, eine fremdbestimmte Sache nicht zu bestehen, ggf. um gegen die Eltern zu rebellieren, die das Studium ausdrücklich gewünscht hatten. Es war evtl. ein Abnabelungsversuch meinerseits, der leider nicht geklappt hat, da ich nicht die Stärke hatte, den abhängig machenden Verlockungen des Elternhauses zu widerstehen: monatliches Geld, Unterstützung in Notlagen, Autosponsoring usw..
Ein letzter Erklärungsansatz ist, daß mein Unterbewußtsein meine Passivität und Strukturlosigkeit gefördert hat, um ein Nichtbestehen der Abschlußprüfung zu erreichen, um so die Symbiose nicht zu gefährden und aufrechtzuerhalten.
Erfolgreich das Studium zu absolvieren, hätte wahrscheinlich ein Erwachsen- und Selbständigwerden gefördert und die Auflösung der Symbiose bedeutet."
b. MinderwertigkeitsgefühleMinderwertigkeitsgefühle entstehen dadurch, daß jemand keine Erlaubnis von seinen Eltern erhalten hat, erwachsen zu sein. Der Prüfling nimmt negative Gedanken über seine Leistungsfähigkeit in sich wahr, sobald er sich in Richtung Erwachsenenwelt bewegt: "Ich schaffe es nicht. Ich werde versagen. Ich kann nicht reden, wenn ich gefragt werde. Mir bleiben die Gedanken weg." Negative Einstellungen zu seinem Selbst verursachen ein Sinken des Selbstvertrauens. Übrig bleibt ein ängstliches, angepaßtes Kind-Ich, das immer weniger in der Lage ist, sich seiner Verstandeskräfte zu bedienen.
c. Prüfer gleich ElternfigurDer Prüfer stellt eine Elternfigur dar. Wenn Vater oder Mutter zu streng gewesen sind, das Kind herabgesetzt haben, sieht der Prüfling später in den Prüfern die strengen Eltern. Er fühlt sich in die Kindheit zurückversetzt, in der er sich ohnmächtig gefügt hat. Die alte Angst vor Schlägen oder Schimpfe kann in derartigen Augenblicken das Ich überschwemmen und zu einem Versagen der Verstandeskräfte führen. Die von den Eltern vermittelte, vernichtende Selbsteinschätzung "Du kannst nichts. Du bist zu dumm und zu faul zum Lernen", läßt den Prüfling scheitern.
d. PassivitätPassivität ist ein Zeichen ungelöster Symbiose. Unzureichende Erziehung trägt gleichfalls zur Trägheit und Tagträumerei bei. Der faule Mensch erfüllt seine täglichen Pflichten nicht. Er trödelt und döst vor sich hin. Struktur und Lernen fallen ihm schwer. Statt seine Arbeit zu tun, vergeudet er seine Zeit mit unwichtigen Aufgaben. Ein Student sagt:" Das eigentliche Problem ist, daß ich meine Arbeit nicht tue. Sobald das Buch aufgeschlagen ist, wird der Drang, mich mit etwas anderem zu beschäftigen, unermeßlich. Ich habe Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Meine Gedanken schweifen ständig ab." Das Nichtstun oder das Ausweichen in Nebentätigkeiten bewirkt, daß die Botschaft der Eltern, sich nicht von ihnen, dem Paradies, zu lösen, Wirklichkeit wird.
e. ZerstreutheitWenn sich jemand von seinen Eltern nicht befreit hat, lebt er im elterlichen Gefängnis. Er ist ständig unbewußt damit beschäftigt, sich aus diesem Käfig zu befreien. Sätze wie: "Ich kann mich nicht konzentrieren, es fällt mir so schwer, ruhig sitzen zu bleiben", zeugen von der Unfreiheit des Getriebenen. Er ist innerlich mit seinem ungelösten, ihn störenden Loslösungskonflikt beschäftigt. Seine elterlichen, verinnerlichten, ihn bindenden Botschaften hindern ihn, sich auf das Lernen zu konzentrieren. Das Sich-Hingeben an eine geistige Tätigkeit ist für den elterlich-gebundenen Menschen oft erschwert. Er ist den Eltern hingegeben und eine Erlaubnis zur Ablösung durch eine erfolgreiche Arbeit besteht nicht. Dieser schwebende Konflikt sorgt für Angst und Unruhe.
f. Abwesende ElternWenn beide Eltern arbeiten, wenn sich keiner richtig um das Kind kümmert, dann lernt dieses nicht, sich seiner Verstandeskräfte zu bedienen, ein gesundes Selbstvertrauen aufzubauen, das sich an den eigenen Kräften erfreut und an Vorbildern orientiert. Das Kind bleibt sich selbst überlassen. Lernen bedeutet, sich auf geschickte Art und Weise eines Stoffes zu bemächtigen. Hier entsteht ein Teufelskreis: Das Kind weiß nicht zu lernen. Sein Zweifel ist berechtigt. Er verstärkt die negative Haltung des Kindes und später des Prüflings gegenüber sich selbst.
3. Überwindung der PrüfungsangstAktives Wissen ist Voraussetzung für eine gelungene Prüfung. Erst wenn der Prüfling über einen genügend großen Wissensschatz verfügt, kann er beruhigt und gelassen in eine Prüfung gehen. Der Prüfling soll den Stoff, den er gerade gelernt hat, für sich wiederholen, ohne in den Text zu schauen. Das Erwerben des Wissens durch Sich-Selbst-Abfragen ist wichtig. So entdeckt der Lernende seine Lücken. Bei Nichtbeantworten wiederholt er den Text. Dann geht die gleiche Arbeit von vorne los: vor sich selbst erzählen, kontrollieren und verbessern. Bis der Text sitzt. Hierfür gibt es Lob: "Das hast Du gut gemacht!" Dann kommt das nächste Kapitel. Kontrolle und Vergleich durch eine Lerngruppe stärken die Freude am Lernen.
Pausen nach jeder Stunde von ungefähr zehn Minuten Länge, einer viertel- oder halben Stunde sind notwendig zur Entspannung.
Die Angst, in einer Prüfung zu versagen, führt bei einigen dazu, daß sie mehr als normal lernen. Sie kehren sich vom Leben ab in der Angst, etwas vom Lernstoff zu verpassen. Es ist vorübergehend möglich, zehn Stunden täglich zu lernen, jedoch nicht auf Dauer. Jeder Mensch braucht den Wechsel, die Erholung durch Freude oder Nichtstun. Übermäßige Arbeit führt zu depressiven Verstimmungen, die Lebenskräfte versiegen. Der Lernende braucht Pause und Erholung. Der Abend gehört dem Vergnügen und den Freunden. Anschließend acht Stunden schlafen und um sieben Uhr aufstehen.
Der Artikel erschien in seiner Ursprungsfassung in dem Buch "Angst - Ursprung und �berwindung", Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 6. Aufl. (2011)
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