Kopfschmerz – psychologische Ursachen und Therapie

 

Angst - Ursprung und Überwindung

 

 

Ich fahre jedes Wochenende nach Hause

Bei Migräne- und Spannungskopfschmerzen läßt sich oft eine enge symbiotische Beziehung zu den Eltern feststellen, die auch in der Realität noch einen starken Einfluß auf die Patienten ausüben, wie das folgende Beispiel zeigt: Eine Studentin berichtet im Erstgespräch: "Ich habe Kopfschmerzen. Sie sind im Stirnbereich. Sie dauern mal eine halbe Stunde, auch fünf bis sechs Stunden. Sie treten dreimal in der Woche auf. Ich nehme dann Aspirin. Die Schmerzen sind in letzter Zeit häufig." Zu ihrer Lebenssituation gibt sie an: "Ich bin 23 Jahre alt. Ich studiere an der PH. Ich habe keinen Freund, ich habe zu wenig Zeit dafür. Ich fahre jedes Wochenende nach Hause. Ich telefoniere einmal pro Woche mit meiner Mutter. Ich habe keinen Kummer. Ich habe meine Freunde am Heimatort, nicht in Kiel. Das Studium läuft gut."

Ich versuche, ihr zu erklären, daß eine tiefenpsychologische Behandlung ihr weiterhelfen könnte. Vielleicht würden unbewußte psychische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung ihrer Kopfschmerzen spielen. Alle Untersuchungen wie EEG, Kernspin und die neurologische Untersuchung hätten ja keinen krankhaften Befund ergeben. Sie lehnt eine Psychotherapie ab mit den Worten: "Mir geht es inzwischen besser und eine organische Ursache ist ausgeschlossen. Ich habe keine Probleme und werde mir auch keine herbeireden lassen."

Diese Kopfschmerzpatientin weist zwei Merkmale auf:
– Sie hat eine überaus enge Beziehung an ihr Elternhaus.
– Sie lehnt eine tiefenpsychologische Sichtweise ihrer Kopfschmerzen ab.

Kopfschmerz und Mitleid

Kopfschmerzen können wie andere Krankheitssymptome bei den Mitmenschen Schuldgefühle und verstärktes Umsorgen hervorrufen. Wer Kopfschmerzen hat, beansprucht Ruhe, Zuwendung, ein Bett und geschlossene Gardinen. Der Kopfschmerzkranke versucht, sich vor den kopfschmerzauslösenden Situationen zu schonen. Er kann auf die Hilfe seiner Angehörigen rechnen, da er starke Krankheitssignale ausstrahlt und dementsprechende Fürsorgeimpulse weckt. Der Migräneschmerz ist elementar und unerträglich auf dem Höhepunkt seiner Intensität.

Auslösende Situationen

  1. aggressiver Konflikt
  2. unbewältigter sexueller Konflikt
  3. narzißtischer Konflikt
  4. Kränkung
  5. Verlust
  6. Abschied
  7. Trauer
  8. Ablösung vom Elternhaus

Gibt es eine typische Migränepersönlichkeit?

Ordentlichkeit, Trennungsängste, Nachgiebigkeit und Hilfsbereitschaft sollen für Migräniker charakteristisch sein. Daraus resultieren Unselbständigkeit und emotionale Entfaltungshemmung als typische Wesensmerkmale (5). In der testpsychologisch orientierten Literatur wird eine Migränepersönlichkeit vorwiegend verneint (4). Es gibt Wesenszüge mit erhöhter Abwehr gegenüber unbewußten Konflikten und einer Hemmung im autonomen Erleben (2,7).

Narzißtische Kränkbarkeit gehört zum typischen Kopfschmerzpatienten. Werden seine infantilen und grandiosen Wünsche nach absolutem Verständnis und bedingungsloser Liebe von seinem Partner oder vom Arzt nicht erfüllt, reagiert er nicht selten schlagartig mit Kopfschmerzanfällen. Der Kränkung liegen Enttäuschung zugrunde, Enttäuschungsärger und die Sehnsucht nach einem Elternteil, von denen Zuwendung und verstehende Liebe erwartet werden. Auch das elementare Gefühl der Trauer um einen liebenden Vater oder eine liebende Mutter vermag Kopfschmerzen und Migräne hervorzurufen.

Kopfschmerzen und Sexualität

Nach Peters, Schäfer und Philipp haben 80% aller Kopfschmerzpatientinnen eine Abneigung gegenüber der Sexualität "infolge des Dauerspannungszustandes" (5). Groddeck sieht in den Kopfschmerzen von Frauen zur Zeit der Menstruation das Werk des Unbewußten: "Die Verwendung von Kopfschmerzen zum Stillstehen der Gedanken und Triebe gehört zu den verbreitetesten und bekanntesten Mitteln des Unbewußten. Die Migräne der Frauen zur Zeit ihrer Periode sind das Mittel, mit dem ihr Ubw (Unbewußtes, der Verf.) dem zu dieser Zeit hochgesteigerten, der Sitte gemäß unstillbaren Geschlechtstrieb zum Schweigen bringt" (3).

Die Zunahme körperlicher und seelischer Beschwerden während der Menstruation ist durch eine starke Bindung an ein Elternteil und die Ablehnung der Rolle als erwachsene Frau bedingt. Sie haben keine Erlaubnis, die Regel als Ausdruck von Fruchtbarkeit und Weiblichkeit zu erleben. Das Auftreten der Regel bedeutet für eine Frau auf der Ebene des Unbewußten Lebenskraft und Eingebundensein in den Rhythmus von Vergänglichkeit, Tod und Geburt. Eine fehlende Individuation und die Ablehnung der weiblichen Identität bedingt eine starke innere Spannung, die sich in Menstruationsbeschwerden oder Kopfschmerzen nach außen entlädt.

 

Kopfschmerzen als Ausdruck von Ablösungsproblemen

Kopfschmerzpatienten haben keine Erlaubnis, sich von ihrer Ursprungsfamilie zu lösen. Deren Familie bildet eine festgeschlossene Einheit. Harmoniebestrebungen stehen im Vordergrund, Autonomie, die auch Aggression und geglückte Partnerschaft bedeutet, wird erschwert, vor allem Trennung.

Die Patienten telefonieren häufig mit Mutter oder Vater. Sie fahren oft nach Hause, auch wenn die Eltern weit weg wohnen. Sie haben unbewußte Schuldgefühle, sich von ihren Eltern zu trennen. Im Ablösungskonflikt treten Kopfschmerzen auf als Symptom von Angst und Trennungsaggression (1). Auf diese Loslösungsproblematik und ihre Unselbständigkeit angesprochen, reagieren sie empfindlich und brüsk mit Ablehnung. Kopfschmerzpatienten antworten auf Versuchsdeutungen mit Feindseligkeit, ganz im Gegensatz zu Angstneurotikern. Kopfschmerzpatienten haben eine starke Neigung zu Abwertungen. Sie bezweifeln die therapeutischen Fähigkeiten ihres Arztes. Sie gehen symbiotisch gefärbte Beziehungen ein, in denen nach außen Eintracht und Harmonie herrschen (7).

Psychischer Konflikt und seine Lösung

Konfliktlösung bedeutet Symptomfreiheit. Verdrängte Konflikte mit den dazugehörigen Affekten äußern sich auch in Kopfschmerzen. Muskeln kontrahieren sich im Schulter-Nacken-Bereich, wenn Angst den Menschen beherrscht und diese verdrängt wird. Reich spricht von der Charakterpanzerung, die mit Muskelverspannungen einhergeht (6). Bei vielen Patienten mit Migräne- und Spannungskopfschmerz ist eine Verspannung der Schulter-Nackenmuskulatur zu spüren. Die Migränekopfschmerzen sind einerseits durch die inzwischen bei der Migräne erforschten pathophysiologischen Veränderungen bedingt, andererseits stellen sie einen symbolhaften Ausdruck dar, nämlich sich den Kopf zu zerbrechen hinsichtlich eines unlösbaren Konfliktes. Sie zeigen, daß Angst, Ärger, Sexualität oder Trauer unterdrückt werden. Der Mensch möchte frei sein, er möchte aus dem einengenden Elternhaus entrinnen und seine Kräfte entfalten. Ein dichtes Netz von Bindungsmechanismen umspannt jedoch - symbolisch gesehen - seinen Kopf, der dieses Netz sprengen will. Nach Egle und meinen Erfahrungen können Kopfschmerzen Ausdruck von Angst sein, besonders von Trennungsangst (1).

Geringe Konfliktspezifität

Vergleichen wir die Entstehungsbedingungen und die unbewußten Konflikte der Kopfschmerz- und Migränepatienten, so läßt sich eine Konfliktspezifität gegenüber anderen funktionellen Störungen nicht erkennen. Abhängigkeit, mangelnde Autonomie, aggressive und sexuelle Gehemmtheit finden sich auch bei anderen funktionellen Störungen, psychosomatischen Erkrankungen oder Neurosen.

Günstige Psychotherapiebedingungen

Wenn sich Kopfschmerzen mit einer Angstsymptomatik verbinden, sind die Patienten gegenüber tiefenpsychologischen Gesprächen aufgeschlossener. Entscheidend ist auch das Umfeld, das den Patienten zu einer Therapie motivieren kann. Solange vorwiegend Medikamente, Kopfschmerztabletten, von Ärzten empfohlen werden und die Literatur mehrheitlich eine organische Genese postuliert, werden Kopfschmerzgeplagte sich in ihrer Abwehr gestärkt fühlen. Werden sie offen darüber informiert, daß unbewußte Konflikte ihre Kopfschmerzen auslösen, so ziehen sie trotz ihrer inneren Abwehr einen hohen Nutzen aus ihrer konfliktorientierten Psychotherapie.

Literatur

  1. Egle, U.T.: Psychoanalytische Auffassungen von Schmerz, Nervenarzt 64 (1993), S. 289-302
  2. Ermann, M.: Psychotherapeutische und psychosomatische Medizin, Kohlhammer Verlag, Stuttgart Berlin Köln (1995)
  3. Groddeck, G.:Krankheit als Symbol, Schriften zur Psychosomatik. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. (1983)
  4. Köhler, Th., Dulz, K., Buck-Emden, E., Peters, G.: Weitere Bemerkungen zur sogenannten Migränepersönlichkeit, Psychother. Psychosom. med. Psychol. 41 (1991), S. 134-137
  5. Peters, U.H., Schäfer, L.M., Philipp, M.: Psychosomatische Therapie der Migräne, Zeitschr. psychosom. Med. 27 (1981), S. 338-346
  6. Reich, W.: Charakteranalyse. Kiepenheuer & Witsch, Köln, Berlin (1970)
  7. Sommer, M.: Überlegungen zur Struktur und Psychodynamik von Kopfschmerz-Patienten, Psyche 9/10 (1979), S. 874-887

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