Empathie und Konfrontation

Angst - Ursprung und Überwindung

 

Über die Behandlung schwieriger Patienten

Kurzfassung:

Empathie und Konfrontation sind wesentliche Mittel im therapeutischen Prozess. Nachdem der Begriff der Empathie beschrieben worden ist, wird auf die Gefahren einer übersteigerten empathischen Haltung eingegangen. Der Begriff der Konfrontation wird definiert. Verschiedene Funktionen, Formen, Einsatzmöglichkeiten und die Gefahren der Konfrontationstechnik werden auch anhand von Fallbeispielen analysiert und beschrieben. Empathie, vor allem konfrontatives Vorgehen sind bei der Behandlung von Angstneurosen, Borderline-Fällen und narzißtischen Störungen erforderlich für den Therapieerfolg, aber auch für das Wohlergehen des Therapeuten.

Summary:

Empathy and confrontation are important tools in the therapeutic process. Having described the term of empathy and confrontation the author indicates the risks of an empathic exaggerated attitude. Several functions, forms, operational possibilities and also the risks of the confrontation technique are analysed and illustrated by means of case reports. Empathy, above all confrontation are necessary for the overcome of the resistance in the treatment of borderline cases, narcisstic disorders and anxiety neurosis.Confrontation is also important for the well-being of the therapist.

Schlüsselwörter:

Empathie, Konfrontation, Borderline-Patient, narzißtische Störung

 

Klinischer Erfahrungshintergrund

Ich beziehe mich in meinen Aussagen auf meine achtzehnjährige Klinik- und Praxiserfahrung, die ca.4500 Behandlungen umfaßt und 250 Fälle aufweist, die tiefenpsychologisch in Gruppentherapien behandelt wurden. Die Behandlungsdauer in den Gruppen beträgt durchschnittlich anderthalb bis zweieinhalb Jahre. Das Hauptklientel meiner Patienten besteht aus Angstneurotikern, Suchtkranken, narzißtischen Störungen und den sogenannten Borderline-Fällen. Die Analyse der Träume und die Behandlungverläufe zeigen, daß es sich bei der Mehrzahl der Patienten um Reifungskrisen, um Ablösungskonflikte von elterlichen Objekten und um die Auflösung von Symbiose handelt. Ich habe hierüber eingehend in meinem Buch und in dem Artikel "Neue Thesen zum Borderline-Syndrom" berichtet (9,11).

 

Das Tabu der Aggressivität

Die Arbeit mit Allgemeinärzten in Balintgruppen und die Supervision mit Kollegen, die sich in der Ausbildung zum Psychiater oder Psychotherapeuten befinden, zeigen immer wieder, daß es Ärzten schwerfällt sich abzugrenzen, wo es Not tut und Ärger zu zeigen, wo er angebracht ist. "Der Therapeut als Klagemauer", diese Überschrift aus der Allgemeinen Zeitung für Klinik und Praxis (1) charakterisiert eine Haltung vieler Psychiater und Psychotherapeuten.

Direkte Aggressivität ist in bestimmten Bereichen unserer Kultur verpönt und tabuisiert, z.B. werden Partnerschaftsstreitigkeiten nicht gleich und direkt ausgetragen, sondern Scheidungen werden eingereicht. Auch die Kultur der helfenden Berufe ist von diesem Tabu weitgehend geprägt. Es gehört sich nicht, daß der Therapeut offen ärgerlich auf verletzendes und grenzüberschreitendes Verhalten des Patienten reagiert. Es erfordert Mut zu sich selbst, sich mit dem Fehlverhalten von Patienten ehrlich auseinanderzusetzen. Der psychotherapeutische Beruf hat die Besonderheit, daß er keine Technik zwischen Patient und Arzt zu stellen hat. Der Therapeut bringt sich selbst ein, sein Unbewußtes, seine Ich-Funktionen und seine mütterlichen und väterlichen Eigenschaften. Während in der technisch betonten Medizin grenzüberschreitende und erhebliche Eingriffe üblich und anerkannt sind, da sie Heilung oder Besserung bringen, haben viele Psychotherapeuten mit der aggressiven Seite ihres Berufes häufig Schwierigkeiten. Ärger gegenüber Patienten wird zu oft als Gegenübertragungsgefühl aufgefaßt und rationalisierend verdrängt oder aber mit einem schlechten Gewissen hervorgebracht.

Warum soll ein Psychotherapeut nicht auch mal ärgerlich sein und seinen Ärger äußern dürfen? Warum soll ein Psychotherapeut sich unecht verhalten und sich rationalisierend "Gegenübertragungsgefühle" einreden, die mit seinen Empfindungen und seiner therapeutischen Einstellung völlig kongruent sind? Wenn ein Patient wirklich an einer Wandlung interessiert ist, so wird er auch eine starke Konfrontation annehmen und auf sich wirken lassen. Wie oft ein Therapeut diese Art der Interventionstechnik anwendet, hängt unter anderem von der Schwere der Störungen, z.B. dem Ausmaß der Regressivität und Grandiosität des einzelnen Patienten ab.

 

Definition der Empathie

Empathie kommt von Pathos, das Leid und bedeutet mitleiden, mitfühlen. Empathie heißt: das Verstehen und das Vermögen, einen anderen in seinen Konflikten, seinen Gefühlen und Einstellungen zu erkennen und gefühlsmäßig nachzuvollziehen. Empathie ist der Weg zum unmittelbaren Verständnis fremdseelischer Vorgänge. "Solches Begreifen des anderen beruht nicht nur auf persönlicher Lebenserfahrung, sondern besitzt auch in Fähigkeiten, die uns prähistorisch zugewachsen sind, wesentliche Grundlagen" (20). Eine ausführliche Arbeit, die sich vorwiegend mit den biologischen Aspekten der Empathie beschäftigt und eine Fülle von Literaturangaben enthält, hat Brothers (5) verfaßt.

Ein treffender Satz über einfühlendes Verständnis findet sich bei Blanck (3): "Der Therapeut ist da, man kann sich darauf verlassen, daß er immer und in derselben freundlichen Stimmung dasein wird." Weil Empathie in der frühesten, nicht verbalen Mutter-Kind-Kommunikation wurzelt, sieht Greenson (13) in ihr eine "ausgesprochene weibliche Nuance".

Unerläßliche Voraussetzung für Psychotherapie ist die Fähigkeit des Psychiaters, empathisch zu sein. Der Psychotherapeut begibt sich einerseits mit einem Teil seiner Persönlichkeit in die Welt des Patienten, andererseits nimmt der Therapeut die Position des Beobachters und aktiven Behandlers ein.

Der Empathie nahe verwandt ist der Begriff der Symbiose, die das Miteinander-Verschmelzen und das wortlose Verstehen beinhaltet. Empathie wird auch mit Gewährenlassen, Verstehen, Dulden und Zuhören gleichgesetzt. Das ist jedoch nicht die Definition von Empathie im ursprünglichen Sinn. Empathie beinhaltet das Wahrnehmen bewußter und unbewußter, kognitiver und emotionaler Prozesse.

 

Literatur zur Konfrontation und Definition

Die therapeutischen Schulen haben unterschiedliche Behandlungstechniken entwickelt. Während die orthodoxe Psychoanalyse und die Gesprächstherapie sich vorwiegend als eine verstehende und empathische Methode betrachten, gibt es als Gegenpol die konfrontativen Methoden wie das Psychodrama, die Gestalttherapie, die Transaktionsanalyse oder die Interventionen von Milton Erikson (14) und von Farelly und Brandsma (8). Die rational-emotive Therapie nach Ellis bedient sich einer direktiven und konfrontativen Vorgehensweise (7). Lange und Omer (18) untersuchen in ihrem Artikel "Wirkung und Inhalt" den Begriff der "therapeutischen Kraft", der auch "schockierende", konfrontative Vorgehensweisen beinhaltet.

Mit den Begründern der Gestalttherapie, des Psychodramas und vor allem mit Berne fand der Begriff der Konfrontation Eingang in die Literatur (4, 22, 26, 2, 21).

Berne versteht unter Konfrontation " das Benutzen vorher gewonnener Informationen, um das Eltern-Ich, das Kind-Ich oder das kontaminierte Erwachsenen-Ich zu stören, indem ein Widerspruch aufgezeigt wird. Der Patient ist beunruhigt und seine Psyche ist aus dem Gleichgewicht geraten. Hierdurch wird eine Umverteilung der Ich-Zustände und ihrer Besetzung erreicht"(4). (Übersetzung vom Autor).

Reicher (23), Weidner und Wolters (25) und Corsini (6) berichten über Erfahrungen und Behandlungen mit Delinquenten, bei denen sie unter anderem die Methode der Konfrontation angewandt haben. Kernberg (17) setzt sich mit der Konfrontationstechnik in der stützenden Psychotherapie schwieriger Borderline-Patienten auseinander.

Das Wort Konfrontation stammt aus dem Mittellateinischen und heißt: sich die Stirne bieten oder jemandem eine Meinung, einen Sachverhalt entgegenhalten. Der Begriff Konfrontation trägt ein aggressives, aktives Element in sich. Im Vergleich zur Empathie wird Gegensätzliches hervorgehoben oder ausgetragen. Es werden Grenzen aufgestellt mit dem Ziel der Selbstbehauptung und der Verteidigung.

Konfrontation entsteht durch das empathische Erkennen und Erfassen der therapeutischen Situation. Der Arzt nimmt die Signale des Patienten auf und vergleicht sie mit seinen eigenen Wertvorstellungen und den erklärten Therapiezielen des Patienten. Während Empathie von vielen Patienten als angenehm und wohltuend empfunden wird, ruft Konfrontation Abwehr hervor, Ärger und Verwirrung.

Grenzziehung kann auf verschiedene Art und Weise stattfinden, sie bedeutet jedoch immer eine Trennung von vorherigen Gemeinsamkeiten und von Ungetrenntem. Konfrontation beinhaltet Gegenüberstellen oder Spiegelung. Trennungserfahrungen, Gegenüberstellungen von Sachverhalten, das Wahrnehmen abgesprengter Persönlichkeitsanteile und das Anhören der Meinung anderer über sich selbst sind gewöhnlich unangenehm, da sie der eigenen grandiosen und vor allem infantilen Vorstellungswelt selten entsprechen.

Empathie beinhaltet das mütterliche Prinzip des Verstehens und gütigen Nährens. Hingegen weist die Konfrontationstechnik auf das väterliche Prinzip hin. Viele Therapeuten sind weitgehend mit der mütterlichen, empathischen Rolle überidentifiziert und haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie in der Therapie auch väterliche, harte, Grenzen setzende Regeln aufstellen.

 

Gefahren einer übersteigerten empathischen Haltung

Das psychoanalytische Verfahren erfordert die gleichbleibende und freischwebende Aufmerksamkeit des Psychoanalytikers, der den Einfällen und dem unbewußten Traummaterial des Patienten aufmerksam folgt. Freud verwendet das Wort Konfrontation nicht. Die Bemerkungen Freuds zur psychoanalytischen Therapie sind in sich widersprüchlich. Freud beschreibt Therapie auch als Kampf am Widerstand des Patienten. Er spricht von der "Nacherziehung" seiner Patienten. Freud sagt jedoch explizit, daß die psychoanalytische Situation dem Patienten große Freiheiten läßt: "Wir eröffnen ihm die Übertragung als den Tummelplatz, auf dem ihm gestattet wird, sich in fast völliger Freiheit zu entfalten, und auferlegt ist, uns alles vorzuführen, was sich an pathogenen Trieben im Seelenleben des Analysierten verborgen hat" (12).

Es entsteht insgesamt das Bild des sich auf der Ebene des Unbewußten auslebenden Patienten, dem vieles erlaubt ist. Der Therapeut begeht einen Fehler, wenn er die mangelnde Grenzziehung der früheren Eltern des Patienten wiederholt. Ständige Abwertungen sind z.B. zu konfrontieren. Es würde die Kapazität eines durchschnittlich kränkbaren Psychiaters überfordern und ihn in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen, wenn er sich z.B. geduldig und ständig herabsetzen läßt.

Kernberg (16) nennt die Gefahren der empathischen Regression beim Therapeuten: "Gerade durch seine Toleranz und Neutralität gegenüber dem Patienten, die ja ein Ausdruck diesen Bemühens sind, emotional mit ihnen in

Fühlung zu bleiben, setzt sich der Analytiker womöglich noch der Gefahr aus, daß er den inadäquaten, vor allem aggressiven Verhaltensweisen von Borderline-Patienten relativ schutzlos gegenübersteht." Kernberg erklärt in seinem späteren Werk, wie der Analytiker unter Wahrung der "technischen Neutralität" sich mittels der Konfrontationstechnik abgrenzen kann (17).

Manche Psychotherapeuten übertreiben das Prinzip des Verstehens und Annehmens, indem sie z. B. Patienten zu lange schweigen oder reden lassen. Sie haben den Kontakt zur Situation verloren und nicht erfaßt, daß hier eine Konfrontation oder eine andere Intervention für das eigene und das Wohl des Patienten angebracht wären, um das Schweigen oder den Redeschwall zu unterbrechen und einen Dialog zu ermöglichen.

Übermäßiges Verstehenwollen und Zuhören verhindern die Differenzierung des Selbst vom mütterlichen Objekt. Empathie bedeutet jedoch das Verstehen und Mitfühlen, um den therapeutischen Prozeß zu gestalten.

 

Funktionen der Konfrontation

Während die Interpretation als eine Technik benutzt wird, die "Kausalität und Tiefe" herstellt (17), durchbricht die Konfrontation die verstehende und einfühlsame, freundlich zuwendungsvolle Atmosphäre. Konfrontative Verfahren sind oft unangenehm, sie sollten aber immer im Kontakt mit dem Patienten angewandt werden. Sie sollten nicht skriptverstärkend sein, sondern den Patienten seinen negativen Skriptbotschaften gegenüberstellen.

Konfrontation führt eine Erkenntnis oder eine Verhaltensänderung herbei.

Konfrontation ist häufig überraschend und verwirrend, wie das nächste Beispiel zeigt:

Mein Oberarzt, der in einer großen psychosomatischen Klinik tätig war, therapierte eine überangepaßte und eilfertige Patientin mit der Bemerkung: "Sie haben einen Sprachfehler". Die Patientin guckte verwundert und fragte: "Wieso habe ich einen Sprachfehler?" Der Oberarzt: "Nun, Sie können nicht Nein sagen!" Diese Art Konfrontation setzte den heilsamen Prozeß der Selbsterkenntnis in Gang. Konfrontation erfordert Mut, Wagnis und Geschick. Sich immer nur verstehend und liebevoll zu verhalten, ist anstrengend und im Einzelfall wenig effektiv.

Konfrontation dient der Klarheit der Kommunikation zwischen Therapeut und Patient. Viele symbiotisch gebundene Patienten sind in Familien aufgewachsen, in denen eine klare und deutliche Kommunikation nicht bestand.

Konfrontation schützt den Therapeuten vor negativen Gegenübertragungsgefühlen.

Patienten mit einer symbiotischen Bindung an ein elterliches Objekt benutzen Abwertungsmechanismen, um keine Nähe aufkommen zu lassen. Bei wiederholten Abwertungen des Therapeuten ist Konfrontation ein wirkungsvolles Mittel, das den Arzt vor negativen Gegenübertragungsgefühlen bewahren kann. Der Therapeut sollte den Patienten unterbrechen, wenn dieser zu endlosen Sätzen ausholt und hiermit seine Geduld zu sehr auf die Probe stellt. Es ist z. B. legitim, dem Patienten ins Wort zu fallen mit der Bemerkung: "Bitte antworten Sie auf meine Frage."

 

Gegenstand der Konfrontation

Konfrontation erfolgt:

  • Am Verhalten des Patienten.
  • Mittels der Traumanalyse.
  • Anhand von Bildern, die der Patient gemalt hat.
  • Anhand von Berichten anderer.

 

Indikationen zur Konfrontation

Die Indikation zur Konfrontation ergibt sich aus dem therapeutischen Prozeß, in dem der Therapeut die Diskrepanz und Dissonanz zwischen dem pathologischen Selbst und einem erstrebenswerten Zustand aufzeigt. Konfrontation wird z.B. in folgenden Situationen angewandt:

  1. Bei destruktivem Verhalten anderen und sich selbst gegenüber.
  2. Bei symbiotischem Verhalten (9):
  1. Angst
  2. Passivität
  3. Überanpassung
  4. Ungeduld
  5. Kränkbarkeit und Aggressivität
  6. Grandiosität
  7. Abwertungen
  8. Depressivität
  9. Sucht
  • Spiele, Drama-Dreieck und Antreiber im Sinne der Transaktionsanalyse
  • Ich-Schwäche
  • Triebverdrängungen

Das oben genannte, destruktive und symbiotische Verhalten kann bei Therapeuten zu geringen bis heftigen, negativen Gegenübertragungsgefühlen führen (24). Es stellen sich aber nicht bei allen Patienten mit diesen Verhaltensmerkmalen ausgeprägte, negative Gegenübertragungsgefühle ein. Auch wenn eine gravierende Diagnose vorliegt, erweisen sich im therapeutischen Prozeß einige Patienten als erstaunlich umstellungsfähig, kooperativ und reflexionsfähig.

 

Formen der Konfrontation

Die Konfrontation ist rein sachlich und wird mit ei ner ruhigen und verständigen Stimme vorgetragen. Das Fehlverhalten wird benannt, die Konfrontation enthält aber keine verletzenden, überkritischen Worte. Die Stimme ist wohlwollend und ohne Beimischung von Ärger oder Gereiztheit.

Die Konfrontation wird in der Stimme klarer und in der Wortwahl knapper und direktiver.

Die Konfrontation gibt ein momentanes Gefühl des Är gers wieder, der auch laut geäußert werden kann. Zum Repertoire eines Therapeuten gehört sein Stimmumfang, den er je nach Temperament und Situation einsetzen wird.

Es gibt Patienten, die ein derartig ausgeprägtes symbiotisches Verhalten zeigen, daß manchmal heftige Konfrontationen nötig sind. Nach Beendigung ihrer Therapie berichten einige, daß gerade das "Wachrütteln" und der manchmal starke Druck eine Änderung in ihnen bewirkt habe. Die Konfrontation sollte nicht die gesamte Person einbeziehen, sondern nur spezifische Merkmale nennen. Für den Patienten ist es auch wichtig, daß er sich traut, selber konfrontativ z. B. gegenüber seinen Eltern zu sein. Er erkennt, daß Aggressivität nicht mit den Schuldgefühlen und der Verteufelung verbunden sein muß, wie er bisher befürchtet hat. Der Patient lernt am Therapeuten, Streit und Ambivalenzen auszuhalten, anstatt Beziehungen immer wieder abzubrechen.

 

Beispiel für eine heftige Konfrontation:

Ein 46jähriger Elektrotechniker war seit zwei Jahren an einer schweren Angstneurose erkrankt. Er war deswegen seit einem Jahr arbeitsunfähig. Er hatte dreimal geheiratet. Auslösende Situation der Angstsymptomatik war der Tod eines nahen Freundes gewesen. Der Patient befand sich seit einem Jahr in verhaltenstherapeutischer Behandlung bei einer Psychologin, deren Kompetenz er im Erstgespräch bei mir in herabsetzender Art in Frage stellte. Ich spürte bereits einigen Ärger in mir aufsteigen, als er noch von der Gründung einer Selbsthilfegruppe für Angstneurotiker sprach und seine etwas zwielichtige Stellung im Betriebsrat beschrieb. Nach seinen Aktivitäten schien er sich und seine Probleme zwar nach außen hin ernst zu nehmen, aber er zeigte wenig echte, innere Beteiligung. Ich machte keinen Hehl aus meinem spontanen Gegenübertragungsärger, der sich vor allem an seiner Grandiosität und Abwertungshaltung entzündete. Ich bot ihm lautstark an, eine Behandlung durchzuführen, wenn er ab sofort wieder arbeite. Eine Woche später teilte der Patient mit, er habe am nächsten Tag seine Arbeit aufgenommen. Zu der sehr fordernden und konfrontativen Erstsitzung berichtete er: "Ich habe diesen Schupser gebraucht, damit ich wieder regelmäßig arbeite. Ich habe ja vorher über Sie gehört, daß Sie direkt mit Patienten umgehen."

 

Gefahren der Konfrontation

Die Gefahren der Konfrontation sind mehrfach beschrieben worden (4, 19, 2, 17). Sie tauchen auf, wenn der Narzißmus des Therapeuten zu ausgeprägt ist und er aus Omnipotenzgefühlen heraus den Kontakt zu seinem Patienten verliert. Masterson (19) sieht einen Hauptschutz des Therapeuten gegen diese Gefahr darin, "daß er (der Therapeut) sich seiner eigenen Gefühlszustände bewußt ist und das Ausmaß seines eigenen Narzißmus kennt". Auch Barnes et al. (2) beschreiben "eine Grenze effektiver Konfrontation und rivalisierendem Machtkampf..."

Die Macht der elterlichen Bindung ist häufig so stark, daß es manchmal offener Kämpfe bedarf, oft genug auch der List und des weit vorausschauenden therapeutischen Vorgehens, um die gesunden Persönlichkeitsbereiche des Patienten zu fördern und ihm das pathologische Verhalten einsichtig zu machen und abzugewöhnen. Erhöhte Kränkbarkeit des Therapeuten gefährdet das Gelingen einer Behandlung. Es wird sich um so mehr Kränkungsärger in eine Konfrontation des Therapeuten hineinschleichen, je häufiger dieser schon kleine Grenzüberschreitungen, bzw. Kränkungen seines Selbst hingenommen hat, ohne diese in Ruhe zu konfrontieren.

Neigt der Therapeut zu narzißtischer Wut, hat er diese Problematik nicht ausreichend bearbeitet und fühlt er sich den Grenzüberschreitungen des Patienten in eigener, archaischer Wut ohnmächtig unterlegen, so bedarf er hier der Supervision oder der weiteren Analyse. Der Therapeut wird eher ohne eigene archaische Wut mit den Patienten umgehen können, wenn er selber an diesem Thema gearbeitet hat, sofern es für ihn eines war. Es ist aber nicht jeder Ärger, den wir in der Therapie spüren und äußern, narzißtischer Wut gleichzusetzen. Dieses hieße, alles zu hinterfragen und zu analysieren und nicht mehr zu den eigenen Gefühlen zu stehen.

Die Argumente, die Kernberg gegen das Äußern von Ärgerreaktionen im Therapeuten anführt, sind durch eigene therapeutische Erfahrung widerlegt. "Primitive Übertragungen" und eventuell auftretende "Rationalisierungen der Übertragungsentwicklungen" (17) lassen sich auch weiterhin durcharbeiten, wenn nicht das psychoanalytische Behandlungsverfahren angewandt wird.

Auch starke Konfrontationen sollten möglich sein, sie sollten stets hinterfragt werden in bezug auf ihre Legitimation, aber nicht völlig abgelehnt oder mit Schuldgefühlen erlebt werden. Die Wahl der Behandlungstechnik wird nicht allein vom Temperament des Therapeuten und durch die Diagnosestellung bestimmt, sondern sie wird auch von den Fähigkeiten des Psychotherapeuten, vom Spektrum der erlernten Techniken und vor allem vom jeweiligen Verhalten des Patienten beeinflußt.

 

Grenzen konfrontativen Vorgehens

Die Grenzen konfrontativen Vorgehens sind da erreicht, wo der Patient übermäßig gekränkt reagiert und die Beziehung zum Therapeuten abbricht. Durch strukturiertes Vorgehen, durch Fragestellungen, welche die narzißtische Kränkbarkeit eines Patienten gleich im Erstinterview anklingen lassen und prüfen, kann sich jeder Psychotherapeut diejenigen Patienten heraussuchen, die seiner eigenen Struktur entsprechen und die das Maß an Konfrontation annehmen, das ihnen der Therapeut zumuten wird.

Wie weit Patienten eine konfrontative Haltung des Therapeuten aushalten, hängt nach meiner Erfahrung von folgenden Faktoren ab:

- von dem Grad der Symbiose und der daraus resultierenden Kränkbarkeit.

- von dem Vertrauen des Patienten zu der Persönlichkeit des Therapeuten und in seine Fähigkeiten.

- von seinem Entschluß, sich zu ändern und die Klippen der Therapie durchzuhalten.

- von der Empathie und der emotionalen Wärme des Therapeuten.

- von der Fähigkeit, die Konflikt- und Gefühlslagen des Patienten verstehend wahrzunehmen.

- von der Gesamtausstrahlung des Therapeuten.

 

Wann ist Konfrontation nicht angezeigt?

Bei älteren Patienten hat sich häufig die Neurose so verfestigt, daß konfrontatives Vorgehen und eine konfliktorientierte Psychotherapie wenig aussichtsreich sind.

Konfrontation sollte selbstverständlich nur bei neurotisch bedingten Krankheitsbildern angewandt werden. Ein hirnorganischer, psychopathologischer Befund, eine endogene Depression und viele Formen der Schizophrenie im akuten und chronischen Stadium sind relative Kontraindikationen für konfrontatives Vorgehen.

 

Konfrontation und therapeutischer Erfolg

Um effektiv seine Patienten zu behandeln, bedarf es der Prüfung, ob die jeweiligen Patienten bereit sind, den Weg der inneren Wandlung zu beschreiten. Die Loslösung von elterlichen Objekten ist begleitet von mannigfaltigen Abwehrmechanismen, die sich als Widerstand offenbaren. Der Widerstand des Patienten gegen Autonomie, gegen die Welt der Erwachsenen, gegen Sexualität und gegen Nähe ist bei Angstneurotikern, bei vielen Borderline-Patienten und narzißtischen Störungen dem regressiven Sog einer verschlingenden Objektfigur gleichzusetzen, die den Patienten auf vielschichtige Art stark an sich gebunden hat (9, 10). Dieses Treuebündnis aufzubrechen und zu lösen, ist ein schwieriger und langdauernder Weg. Er erfordert eine erhebliche Machtfülle und Autorität auf Seiten des Therapeuten, der diese Macht jedoch menschlich und getragen von einem Gefühl der Liebe und der Wärme gegenüber dem Patienten ausüben soll.

Bei schwierigen Patienten ist es zeitweilig notwendig, seinen Gegenübertragungsärger gezielt auszudrücken, anstatt die Rolle eines stets verständigen und gütigen Arztes einzunehmen.

Das Argument, der Narzißt oder der Borderlinepatient würden konfrontatives Vorgehen nicht vertragen oder gar die Therapie abbrechen, hat nach meinen Erfahrungen nicht soviel an Gewicht, daß konfrontatives Vorgehen nicht doch therapeutisch sinnvoll und gerechtfertigt ist. Derjenige Patient, der bereit ist, sich zu ändern, wird auch eine starke Konfrontation konstruktiv verarbeiten, wenn sie vom Therapeuten empathisch und der Situation angemessen vorgebracht wurde. Psychotherapie bei schwierigen Patienten beinhaltet auch energisches, effektives Handeln, das sich unterschiedlicher Techniken bedient.

Erschienen in der Zeitschrift: TW Neurologie Psychiatrie 11 (1992), S. 746-752.

 

Literatur

  1. Allgemeine Zeitung für Klinik und Praxis, Nr. 95 (1989)
  2. Barnes, G. et al: Was werd' ich morgen tun? Institut für Kommunikationstherapie, Berlin (1979)
  3. Blanck, G., Blanck, R.: Angewandte Ich-Psychologie. Stuttgart (1978)
  4. Berne, E.: Principles of Group Treatment. New York (1966)
  5. Brothers, L.: A Biological Perspective on Empathy. Am. J. Psychiatry 1 (1989) 10-19
  6. Corsini, R. J.: Konfrontative Therapie. In:Wenninger, G. (Hg.): Handbuch der Psychotherapie, Weinheim/ Basel (1987)
  7. Ellis, A.: Die rational-emotive Therapie. München (1977)
  8. Farrelly, F., Brandsma J.M.: Provokative Therapie. Berlin/Heidelberg/ New York (1986)
  9. Flöttmann, H.B.: Angst -Ursprung und Überwindung, Kohlhammer Verlag, Stuttgart (1993), 3. Aufl.
  10. Flöttmann, H.B.: Der schwierige Patient in der nervenärztlichen Praxis. TW Neurologie Psychiatrie 4 (1990), S. 245-250
  11. Flöttmann, H.B.: Neue Thesen zum Borderline-Syndrom. TW Neurologie Psychiatrie 5 (1991), S. 623-634
  12. Freud, S.: Die psychoanalytische Technik. In: Schriften zur Behandlungstechnik. Studienausgabe, Ergänzungsband, Frankfurt a. M. (1940)
  13. Greenson, R.R.: Zum Problem der Empathie. Psyche 2 (1961), S. 142-154
  14. Haley, J.: Die Psychotherapie Milton H. Ericksons. München (1978)
  15. Jacoby, M.: Psychotherapeuten sind auch Menschen. Olten und Freiburg im Breisgau (1987)
  16. Kernberg, O.F.: Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus. Frankfurt a. M. (1978)
  17. Kernberg, O.F.: Schwere Persönlichkeitsstörungen, Theorie, Diagnose, Behandlungsstrategien. Stuttgart (1988 )
  18. Lange, A., Omer, H.: Wirkung und Inhalt. Die zwei Seiten therapeutischer Interventionen. Prax. Psychother. Psychosom. 36 (1991), S. 117-131
  19. Masterson, J.F.: Psychotherapie bei Borderline-Patienten. Stuttgart (1980)
  20. Pauleikhoff, B., Mester, H.: Empathie. In: Müller, Ch. (Hg.): Lexikon der Psychiatrie. Berlin/ Heidelberg/ New York (1973)
  21. Petzold, E., Bergmann. G.: Konfrontation im Systemischen (KIS). Prax. Psychother. Psychosom. 31 (1986), S. 87-95
  22. Petzold, H.: Einige psychodramatische Initial-, Handlungs- und Abschlußtechniken. Z. Psychother. med. Psychol. 6 (1971), S. 220-227
  23. Reicher, J.W.: Die Entwicklungspsychopathie und die analytische Psychotherapie von Delinquenten. Psyche 30 (1976), S. 604-612
  24. Reimer, Ch.: Schwierige Patienten und ihre Therapeuten, Prax. Psychother. Psychosom. 36 (1991), S. 173- 181
  25. Weidner, J., Wolters, J. M.: Aggression und Delinquenz: Ein Spezialpräventives Training für gewalttätige Wiederholungstäter. Mschr. Krim. 4 (1991), S. 210-223
  26. Woollams, St., Brown, M.: Transactional Analysis. Huron Valley Insititute Press, Michigan (1978)

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